Tiefbasskommando + Special Guest
Hip-Hop/Rap
Wenn die »TBK Randgruppe« in die Szenerie stürmt, hagelt es Ansagen, »geschmacklos wie Burger ohne Fleisch«. Dann ballern 808’s wie Ziegelsteile und Ziegelsteine wie 808’s, dann walzen grobe Bässe durch’s gefällige Deutschrap-Idyll. Das TIEFBASSKOMMANDO — bestehend aus den RapperInnen Eisberg, Double G, Shoki, Don Juan und MC Kneipenkrieger, dem Producer Retado und dem Videografen Downtown Destruction (DDP) — hat die Autodidaktik zur Tugend, das Kollektiv zum Front-MC und die Destruktivität in Entertainment umgewandelt. Mit schier anmaßender Mühelosigkeit, rougher Untergrund-Attitüde und einer beispiellosen Portion Berliner Ignoranz blickt die »TBK Familie« verkappt-ironisch in die Abgründe menschlicher Gedankenwelten. Drogenwahn, übersteigerte Obszönität und maximal stumpfsinnige Punchlines karambolieren mit aufgeweckter Gesellschaftskritik, subkulturellen Referenzen, Perspektivwechseln und ausgelebter Sexpositivität — Rap der Westberliner Schule clasht mit rauen Break-Beats und Hyperpop-Anleihen. Kurz: TBK-Musik ist Horrorfilm Kino, Eskalation im Techno-Keller, Action im U-Bahn-Schacht und schummrige Kneipennacht gleichzeitig; ist Randale, ist Tauziehen, ist Meme, ist große Kunst. »Warum? Deshalb!« Der Kosmos TBK ist ein undurchschaubares Dickicht — vielköpfig, mysteriös, ein bisschen verrucht. Außerhalb der kryptischen Texte hat das Siebengespann bislang wenig von sich preisgegeben, auf Bühnen und in den niedrig-pixeligen Videos tritt es ausschließlich maskiert auf. Interviews? Fehlanzeige. Berichterstattung? Rar gesät. So kommt es auch, dass der Sprung vom Berliner Underground-Phänomen zur bundesweit relevanten Rap-Crew medial ähnlich dünn dokumentiert ist, wie die Gründungsgeschichte der Posse. Auch innerhalb des Kollektivs wird letztere in vielen Varianten erzählt. Kein Wunder, haben sich die meisten Mitglieder doch — mit Edding in der einen und dem x-ten Bierhumpen in der anderen Hand — auf irgendwelchen Partytoiletten kennengelernt. Fakt ist: die meisten TBK-Member sind Urberliner, kennen sich teilweise seit fünfzehn Jahren, haben in kleineren Runden zum Teil schon vor Gründung der Crew zusammen Musik gemacht und sogar zusammen gewohnt. Fakt ist auch, dass ein Teil der Bande 2019 in Leipzig zusammengetroffen ist und dort im Beisein von Produzent Uncle F in irgendeinem Kabuff erste Parts aufgenommen hat. Aus dieser Zeit stammt »Deine Mutter ist ne Nette«, der erste unverhoffte Untergrundhit von Double G, Eisberg und Don Juan. Schon dieser Song zeichnet sich durch Attribute aus, die bis heute fest zur TBK-DNA gehören: derbe Lines, unbedarfte Flows, Headset-Qualität, Anachronismus und BassGeballer im Hintergrund. Produzent Retado und Videograf DDP werden spätestens im Zuge von »TBK Familie« Teil des Konglomerats und beteiligen sich fortan maßgeblich an der musikalischen und ästhetischen Ausrichtung des Projekts. Retado, der im Jugendalter in einer Punkband gespielt hat und auf Soundcloud in Rap-fernen Gefilden fischt, weitet das musikalische Spannungsfeld, auf dem sich die Crew bewegt, ins Unermessliche: ab jetzt vermengt sich Westberlin-Rap-Sozialisierung und Detroit Electro mit Hyperpop, Kneipenschlager und Happy Hardcore. Das inzwischen im mittleren sechsstelligen Bereich geklickte Video zu »TBK Familie« dreht, wie alle nachfolgenden, DDP. Zwischen Nintendo-NES-Optik und in entlegenen Berliner Bunkerwelten entstandenen CamcorderAufnahmen kreiert er eine visuelle Welt, die das Tiefbasskommando auch optisch vom Rest der Szene abgrenzt. Das Bildwerk ist Teil des TBK-Gefühls, spielt, wie die Lieder selbst, mit der Ästhetik der Gewalt, zugespitzter Roughness, Memphis-Nostalgie, Hektik und Anti-Style. Als der Rest der Welt im Corona-Lockdown versauert, wird der TBK-Mob kurzerhand zu Hausbesetzern. Ein Neuköllner Mehrfamilienhaus, das wegen eines Wasserschadens übergangsweise leer steht, wird im März 2020 zum TBK-Quartier — in einem Raum bildet sich ein primitives Matratzenlager, im anderen entsteht ein maximal spärliches Studio. Um ein freistehendes Billigmikrofon tummeln sich Tag und Nacht diverse mittelmäßig bis stark berauschte Personen und übertrumpfen sich gegenseitig mit absurden Punchlines. Alles ist erlaubt, klassische Song-Strukturen zweitrangig. In diesem Modus entsteht innerhalb von zwei Wochen das erste TBK-Mixtape »Vol. 1«, auf dem sich neben der damals fünfköpfigen TBK-Stammbesetzung etliche Phantomrapper die Ehre geben. Die Crew wächst in dieser Zeit endgültig zusammen, im August 2020 erscheint das Tape — da ist die Hausbesetzung dank der Zählerstände längst aufgeflogen. Während »Vol. 1«, auch durch den Support der befreundeten 102 Boys, die Runde macht, stößt Rapperin Shoki zur Gang. Sie beteiligt sich mit ihrem empowernden Debüt-Track »Eine wie mich« am zweiten, noch im Dezember desselben Jahres erscheinenden Crew-Projekt »Ekeltape«, das in Retados Zimmer entsteht, viel Zuspruch erfährt und in physischer Form binnen Tagen vergriffen ist. 2021 ist das Tiefbasskommando dann endlich komplett: MC Kneipenkrieger, der zuvor schon im Nordachse- und Hot Money Records-Kontext sichtbar wurde, stößt als letzter Protagonist dazu. Das dritte Tape, das XXL-Projekt »Breakdance auf Scherben«, entsteht gewohnt autodidaktisch, aber dennoch gewissenhafter als die beiden Vorgänger — es enthält unter anderem den bisher womöglich eindrucksvollsten Thementrack »U8«, der aus Perspektive Heroin-Abhängiger geschrieben ist. Während der zwischenzeitlichen Release-Pause schießen auf den TBK-Kanälen die Aufrufzahlen längst veröffentlichter Song in neue Höhen. »Breakdance auf Scherben« erscheint im Mai 2022 und gilt, auch durch die klare stilistische Trennung in eine A- und eine B-Seite, als bisher experimentellste Release. Im direkten Anschluss an die Veröffentlichung geht die Bande erstmals auf Tour. Alle Läden sind ausverkauft, in mehreren Städten wird hochverlegt, in Stuttgart zerstört die Crowd prompt zu Beginn der Show die Absperrzäune vor der Stage. Als geradezu legendär bleiben auch die Konzerte im ausverkauften Astra Kulturhaus, dem Leipziger Felsenkeller und dem Übel & Gefährlich in Hamburg im Gedächtnis. Ein Jahr später nun greift das Tiefbasskommando erneut an: die vierte LP liegt fertig in der Schublade, im Dezember 2023 werden auf »Taxi Safari«-Tour in insgesamt neun Großstädten in Deutschland, Polen und Österreich Konzerte stattfinden.